High
level Kinderorthopädie in Indien –
ein
Hamburger Spenden-Projekt im 14. Jahr
Maja Falckenberg
Gesang
ausserhalb des Hauses – fremde Laute -
eine Frauenstimme – Kirchenmusik aus
einem etwas entfernten Lautsprecher– langsam werde ich wach- die Morgenrufe mehrere Hähne dringen in mein Bewußtsein - ich bin wieder in Indien, Mylaudi – 6 Uhr früh. Als ich auf die große Terrasse trete, die unseren Zimmern gleichermassen als Wäschetrocknung, Eingang und Sitzplatz dient , schälen sich die entfernten Berge langsam aus dem Dunst,der Lotus-See und die Palmenwälder bilden eine grüne Basis, es weht ein leichter Wind. Die Geräusche nehmen langsam zu, wenn die Kinder des Waisenhauses aufstehen, auf den Dächern ihre Wäsche aufhängen und auch sonst geschäftig herumlaufen. Ab 7 kommt die Sonne langsam über die Bäume und es wird wärmer. Jetzt kann ich noch eine Stunde lesen, mails beantworten oder einfach einen Tee trinken und schauen. Um 8.15 ziehen die Gruppen der Kinder, Jungen und Mädchen getrennt in die Schule. 8.30 klingt die Glocke, die das deutsche Team zum Frühstück ruft.
einem etwas entfernten Lautsprecher– langsam werde ich wach- die Morgenrufe mehrere Hähne dringen in mein Bewußtsein - ich bin wieder in Indien, Mylaudi – 6 Uhr früh. Als ich auf die große Terrasse trete, die unseren Zimmern gleichermassen als Wäschetrocknung, Eingang und Sitzplatz dient , schälen sich die entfernten Berge langsam aus dem Dunst,der Lotus-See und die Palmenwälder bilden eine grüne Basis, es weht ein leichter Wind. Die Geräusche nehmen langsam zu, wenn die Kinder des Waisenhauses aufstehen, auf den Dächern ihre Wäsche aufhängen und auch sonst geschäftig herumlaufen. Ab 7 kommt die Sonne langsam über die Bäume und es wird wärmer. Jetzt kann ich noch eine Stunde lesen, mails beantworten oder einfach einen Tee trinken und schauen. Um 8.15 ziehen die Gruppen der Kinder, Jungen und Mädchen getrennt in die Schule. 8.30 klingt die Glocke, die das deutsche Team zum Frühstück ruft.
Aktuell arbeiten 2
Kinderorthopäden/innen und eine Physiotherapeutin aus Deutschland ergänzend zu
dem indischen Team unter Leitung von Dr J. Zippel hier in Mylaudi, Tamil Nadu, Südindien. Als Anästhesistin/Schmerztherapeutin versuche
ich, die Arbeit durch Konzepte der Schmerztherapie zu unterstützen. Verschiedene
Ärzte, etwa 15 insgesamt verbringen 2-4 Wochen hier in Mylaudi, um mit Dr Zippel, der von Oktober bis März
hier lebt, zu arbeiten.
Indien hat aktuell ~1.2
Milliarden Einwohner. Spezialisierte Medizinische Versorgung ist in einem sich
entwickelnden Land wie Indien, in dem eine lange tradierte Gesellschaftsordnung
mit einem Kastensystem, das in abgelegenen Landes- Bereichen noch Lebensformen
wie bei uns vor 200 Jahren stützt, noch ein
Luxus, den sich nur wenige leisten können. Im Gegensatz dazu bestehen in den
Ballungsgebieten, und es gibt etliche Millionenstädte, deren Namen wir meist
noch nicht gehört haben, ähnlich gute medizinische Versorgung wie bei uns. Während
alle akuten Krankheitssituationen kostenfrei
in den Regierungskrankenhäusern behandelt werden können, gilt das noch nicht
für Fehlbildungen und Geburtsschäden. Um diesen Missstand ein wenig zu lindern,
wurde im Jahre 2002 in Mylaudy, Tamil Nadu
auf der Südpitze Indiens eine
Kinder-Orthopädiestation mit Rehazentrum in Betrieb genommen. Hier werden
Kinder aus armen Familien umsonst behandelt. "Vater" des Projekts ist
der Hamburger Orthopäde Dr. Jürgen Zippel, der hier gemeinsam mit anderen Ärzten
und Physiotherapeuten aus Deutschland unentgeltlich jedes Jahr zwischen Oktober und März arbeitet und etwa 80 Kinder operiert und zahllose weitere berät.
Besonders sog neglected
Klumpfoot-Kinder, aber auch Patienten mit Folgen von Cerebralparesen (CP),
Artrogryposen und anderen
Extremitätenfehlstellungen werden hier mit hoher Fachkenntniss operativ oder
konservativ (z.B.nach Ponzetti) behandelt.
Die Arthrogryposis
multiplex congenita
(AMC), beschreibt ein schweres angeborenes Krankheitsbild mit Kontrakturen in zwei oder mehr Bereichen des Körpers. Die
Häufigkeit wird in der Literatur mit 3.000 bis 11.000 angegeben, in Mylaudi
sehen wir viele solcher Kinder. Der Name kommt aus dem Griechischen und
bedeutet wörtlich Verbiegung der Gelenke (arthron, "joint"; grȳpōsis,
spätes Latein von Greek grūpōsis, "hakenförmig"). Kinder, die mit einer oder mehr
Gelenkkontrakturen geboren werden, haben
auch bindegewebige Veränderungen, es besteht auch eine muskuläre Verkürzung,
sie können die Extremitäten nicht richtig beugen oder strecken. AMC ist in 3 Gruppen unterteilt, Amyoplasia (Gelenkkontrakturen und Muskelschwäche), distale Arthrogryposis (Hände und
Füße betroffen) und die syndromale Form.
Wenn eine neurologische Problematik oder Muskelerkrankung im Vordergrund steht
gehört die Krankheit zum Syndrom Typ. Eine Ursache ist bisher nicht bekannt.
Räumliche Basis für die
medizinische Versorgung in Mylaudi bietet ein Waisenheim. In dem anliegenden Heim werden etwa 75 Kinder bis zum Verlassen der Schule durch Patenschaften der „Patengemeinschaft
für Hungernde Kinder“ gefördert. Das Heim
ist eines von 18 in Kerala und Tamil Nadu dieser segensreichen Organisation. Das
gesamte Orthopädie-Projekt wird von Spenden finanziert, die neben dem
Waisenprojekt getrennt davon verwaltet werden.
Ermöglicht wurde der Bau der Klinik durch eine
großzügige Spende der Alte Leipziger-Hallesche Versicherung. Es ist die einzige
technologisch hochwertig ausgestattete kostenfreie Klinik für Kinder- Orthopädie in Tamil
Nadu und dem angrenzenden Bundesstaat Kerala und dementsprechend groß ist der
Andrang; auch arme Familien aus den Bergen weiter im Norden kommen für die Hilfe über viele Kilometer weit angereist.
Das COC (Children Orthopaedic Center) besteht aus einer Ambulanz mit Röntgenstation
und Gipsraum, einer 16-Betten-Station, einem Physiotherapieraum und einer
orthopädischen Werkstatt. Das indische Team setzt sich aus einem
Physiotherapeuten, einer Pflegekraft,
einer Ambulanzkraft und einem Orthopädietechniker
sowie weiteren Personen für Organisation, Transport, Küche etc zusammen. Die
behandelnden deutschen Ärzte kommen, auf eigene Kosten, vorwiegend aus Hamburg, aber auch der Schweiz wie auch hamburger Physiotherapeuten, die die einheimischen Kollegen auch in
Kursen unterrichten und schulen, die Eltern im Handling mit den behinderten
Kindern anleiten und die operierten Kinder manchmal erstmalig in ihrem Leben
auf die Füße stellen. Es steht ein großes Therapiebad zur Verfügung. Alle nicht indischen Kräfte arbeiten unentgeltlich und wechseln sich übers Jahr ab. Die Operationen werden
in einer privaten Klinik in der Nähe durchgeführt, dort werden hierfür nur die tatsächlich anfallenden
Betriebskosten gezahlt. Die Operationskosten können, genauso wie die Kosten für
Medikamente, Verbandsmaterial und das medizinische Hilfspersonal, nur durch
Spenden aufgebracht werden. Im Reha-Zentrum des COC werden die operierten
Kinder dann nachbehandelt. So werden für etwa 55.000 Eu/Jahr etwa 80 Kinder/Jahr operiert, häufig erstmalig in ihrem Leben auf die Füße gestellt und weitere mit konservativen Massnahmen durch kompetente Physiotherapie und Hilfsmittelerstellung gebessert.
Die Kosten
entstehen durch Unterhalt der Einrichtung und die med. Kosten z.B.:
• 180 Euro für eine Operation einschl. der Narkose,
• 50 Euro für die Medikamente zur Nachbehandlung,
• 50 Euro z.B. für einen Gehwagen aus der eigenen Werkstatt.
• 180 Euro für eine Operation einschl. der Narkose,
• 50 Euro für die Medikamente zur Nachbehandlung,
• 50 Euro z.B. für einen Gehwagen aus der eigenen Werkstatt.
Nach dem Frühstück
beginnt um 9.00 der Arbeitstag. Erst Sichtung der ersten Ambulanzpatienten,
dann 9.30 Visite der Station. In Indien leben die Familienangehörige mit dem
kleinen Patienten. Hier sind immer wieder Gespräche und Anleitung notwendig;
viele Mütter lassen die Kinder kaum vom Arm, spielen dagegen ist ihnen fast
unbekannt. So ist es schwer, die Kinder zu Aktivität zu motivieren. Einige
Wochen im Jahr wird das sehr erfolgreich durch eine Maltherapeutin und eine
Psychiaterin, die ihre operierenden Lebenspartner begleiten, künstlerisch-pädagogisch unterstützt. Die
indischen Teammitarbeiter sind englisch-sprachig und übersetzen, besonders die
Krankenpflegekraft Sheila. Die aktuelle Entwicklungen der Kinder in der
Physiotherapie werden in der Visite erörtert, die Gipswechsel und Wundschauen
für heute festgelegt. Zur Physiotherapie kommen später auch noch ambulante Kinder, der Therapie-Raum ist
am Vormittag schnell mit anzuleitenden
Müttern, den Kindern und Therapeuten in laufendem Wechsel gefüllt. Es herrscht
fröhlicher Lärm. In der Ambulanz werden bis Mittag 10-12 Kinder gesehen. Es
sind überwiegend Erstvorstellungen, schwierige Anamneseerhebungen, manchmal von
weit her angereist, häufig mit unrealistischen Vorstellungen über das Machbare.
In der Erinnerung der Eltern hat häufig
ein „Fieber“ die unglückliche
Weiterentwicklung ausgelöst und nicht die erkennbare CP (Cerebralparese) An 2 Tagen in der
Woche wird operiert. Nach dem Essen und einer kleinen Pause machen wir uns um
13.45 auf den Weg zum OP. An 2 Tagen in der Woche wird operiert.
Heute soll Arunja operiert werden. Er ist einer von 2 Brüdern, jetzt 11
und 13 Jahre, die seit 1.5 Jahren hier
in Behandlung sind. Beide leiden an einem nicht eindeutig zuordbaren Fehlbildungsssyndrom,
einer Art Osteochondrodysplasie , die besonders die Beine betrifft, bei einem der Kinder auch den Schädel.
1 Geschwisterkind und die Eltern sind gesund.
Der jetzt 12 Jahre alte
Arunja(li im Bild mit 3 und 5 Jahren) hat spät gesprochen. Mit 3 Jahren wurde
ein VSD erfolgreich operiert.
Bei
Erstvorstellung waren seine Ellenbogen nicht streckbar, er hatte eine leichte Skoliose,
lief re auf dem Innenknöchel, li passabel
mit aussenrot Hüfte und innenrotierten US/Patellalux und valgisiertem Kniegelenk; der re Fuß wies einen schwersten Talus verticalis
auf.
Es erfolgten bereits 2014 Eingriffe
zur Verbesserung der Gangfähigkeit (Reposition des
Talocalcaneargelenkes und Arthodese; ausserdem fand eine re aussenrotierende , distale OS Osteotomie statt.Heute soll mittels Osteotomie des li distalen OS,
eine Varisierung und Innenrotation und schließlich eine Patellareposition durchgeführt werden.
Der Bruder,
der jetzt 13 Jahre alte Vicky fiel neben
den schweren Klumpfüssen früh mit einer ausgedehnten Hörstörung auf; dadurch
lernte er besonders schwer sprechen, auch heute ist seine Sprache typisch
guttural. Er wies massive Klumpfüße bds auf, eine ausgepr. Skoliose, keine
Hüftinnenrotation, Coxa vara mit Hüftkopfverformung, Retrotorsion der SH,
dadurch Aussenrotation bder OS, lief jedoch
frei mit seinen „neglected Klumpfoot“.
Vor einem Jahr erfolgte die Klumpfuss-
OP li mit Lambrinudi-Osteotomie und innenrotierender distaler OS-Osteotomie. Am
10.12. 014 wurde die gleiche OP auch re
durchgeführt.
Ziel aller
Eingriffe ist eine Besserung des
Gangbildes und Verhinderung einer frühzeitigen Gangunfähigkeit.
Arunja
ist am Tag zuvor in die Klinik nach Nagercoil, einem etwa 40 Minuten entfernten
Ort gebracht worden. Der dortige Anästhesist sorgt für alle Vorbereitung lege
artis. In der Klinik angekommen fahren wir im Fahrstuhl in das OP-Geschoss;
unsere Schuhe warten im Fahrstuhl auf uns. Wir kleiden uns in die übliche grüne
Kleidung. Im Op wartet schon der Anästhesist mit unserem Patienten in
Spinalanästhesie; etwas Midazolam läßt ihn friedlich schlafen. Nach der
Osteotomie mit Innenrotation und
Fixierung mit Drähten ist die Patellaverlagerung leichter als befürchtet und
das vorläufige Ergebniss läßt nach 1.5 Stunden alle zufrieden aufatmen. Die
Schweizer Kollegin kann viele Photos für
Vorträge gebrauchen und so habe ich eifrig photografiert . Der kleine Patient
wird die nächsten Stunden noch durch die Spinale gut schmerzgelindert sein;
später erhält er Ibuprofen und kleine Dosen Buprenorphin sc. Post-Op gibt es
für uns „Arbeiter“ von denen ich den aller kleinsten Teil trug einen zuckersüßen
heißen Tee und wunderbare Teigtaschen im Umkleideraum.
In dem schwindenden Tageslicht fahren wir nun
durch die irrwitzig vollen und lauten Straßen, die mit den gelber Tuc Tucs, den
landesüblichen Taxis, zahllosen Motorrädern, Menschen und Tieren gefüllt sind nach Mylaudi zurück.
An den
Strassen sind nun zahllose kleine Läden,
die von Autoreifen bis Zwiebeln alles bieten geöffnet. Es grenzt immer wieder
an ein Wunder, dass Frances uns mit gutem Tempo heil nach Hause bringt. Die
verringerte Wärme hat auch im Krankenhaus und Heim die Menschen herausgelockt.
Ich schwimme noch ein paar Runden. Um 19.30 beginnt unsere blaue Stunde, so
genannt nach den blauen Flaschen des
Bombay Gin, den es an manchen Tagen gibt, wenn ein neuer Gast etwas
mitbrachte. 20.00 klingelt es zum Abendessen, ein köstliches Curry wartet . Um 21.00 ist wiederum Visite. Der Mutter und dem Bruder von Arunja können
wir berichten, dass alles gut aussieht. Morgen wird er zurückkommen. Gegen die
Schmerzen wird er zusammen mit Ibuprofen in den ersten Tagen ein Norspan 10
Pflaster bekommen. Alles ist gut heute abend, kein Gips drückt, die Abfrage der
Schmerzen mit VAS ergibt nur schmerzfreie Kinder, wir können in die Nachtruhe
gehen.
Ich lese noch etwas unter meinem
Mückennetz und schlafe dann einem neuen Tag entgegen. Arbeit wird es
wieder genug geben.
Allerdings ist die Fortsetzung
des Projektes gefährdet. Dr Zippel möchte sich nach vielen Jahren der Tätigkeit
zurückziehen und es ist trotz vorerst guter finanzieller Ausstattung bisher nicht gelungen, einen Nachfolger zu
finden. In Indien werden fast keine Kinderorthopäden ausgebildet, da das
staatliche Gesundheitssystem bisher eine derartige Versorgung nicht finanziert. Ein deutscher Ersatz ist ebenso schwierig zu finden. Die Kinder benötigen häufig mehrere Eingriffe und Kontinuität in dem Behandlungskonzept für einige Monate zur Erlangung der Gehfähigkeit und das Projekt hat sehr davon profitiert, dass Jürgen Zippel von Oktober bis März dort blieb. So muß abgewartet werden, ob sich eine gute Lösung findet und Kinder wie die
beiden Brüder weiterhin eine Chance auf ein selbständiges Leben bekommen
werden.
Wer Interesse an der Arbeit hat, ist gerne aufgefordert, sich mit Dr Zippel in Verbindung zu setzen: juergen_zippel@yahoo.deebenso sind Geldspenden herzlich willkommen an folgende Bankverbindung:
Kinderorthopädie
BLZ 23052750, Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg
Konto Nr 50229
Es ist schön, dass die Kinder dort nun eine Behandlung bekommen. Bis ich den richtigen Orthopäde Köln gefunden hatte, brauchte ich etwas.
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